05_2025_Sport RLP

Doch in Tiefenstein ist manches anders.

Der Mann, der am Spielfeldrand lautstark

klatscht und seinen Spielern mit klaren

Anweisungen beisteht, ist Ibrahim Nas-

sar. Er stammt aus Syrien, kam 2015 als

Geflüchteter nach Deutschland – und hat

eine bewegende Geschichte im Gepäck.

Die ohnehin schon schwierige und stra-

paziöse Flucht war für ihn besonders

anspruchsvoll, denn der Syrer ist aufgrund

einer Behinderung seit seiner Kindheit auf

Krücken angewiesen. Bereits in seiner

Heimat hielt ihn das aber nicht davon ab,

selbst erfolgreich Rollstuhl-Tischtennis zu

spielen und die Nationalmannschaft für

Sportler

*innen mit geistiger oder körper-

licher Behinderung zu trainieren.

Neustart mit Nachwuchsarbeit

„Über Bekannte, die mich als Tischten-

nisspieler kannten, bin ich dann auf den

TuS Tiefenstein aufmerksam geworden“,

erzählt er von seinen ersten Schritten in

die deutsche Sportlandschaft. Dort traf

er auf Simone Kunz, die erst kurz zuvor die

Leitung der Tischtennisabteilung über-

nommen hatte. Aus dieser Begegnung

entstand eine enge Zusammenarbeit –

und eine Erfolgsgeschichte von sport-

licher und menschlicher Integration.

„Als wir 2017 angefangen haben, gab

es keine Nachwuchsarbeit mehr. Also

haben wir intensiv Werbung in den Schu-

len betrieben und Minimeisterschaften

organisiert“, beschreibt Kunz ihre ersten

Sofortmaßnahmen als Abteilungsleite-

rin. Und diese zahlen sich heute aus: die

ersten Neueinsteiger von damals sind

heute fester Bestandteil der Erwachse-

nenmannschaften. „Dieses Jahr haben

wir vier Erwachsenenteams – so viele wie

noch nie“, berichtet Kunz stolz. Und auch

der sportliche Erfolg kann sich sehen las-

sen: Die erste Jugend-Mannschaft spielt

in der zweithöchsten Klasse des Verban-

des und auch die anderen Jugendmann-

schaften spielen sehr erfolgreich.

Diese positive Entwicklung ist auch fest

mit Ibrahim Nassar verknüpft. Auch wenn

der Start gar nicht so leicht war, wie sich

Kunz erinnert: „Wir haben auf die Schnelle

irgendwie einen Rollstuhl für ihn orga-

nisiert. Auch wenn der sich nicht richtig

drehte, hat es zum Spielen gereicht.“ Bald

stieg er neben den Eheleuten Kunz ins

Nachwuchstraining ein. Und die Kinder

hat der 43-Jährige voll im Griff. Anfangs

vielleicht sogar ein bisschen zu sehr:

„Ibrahim ist sehr ehrgeizig. Beim Coachen

wurde es manchmal etwas lauter. Nach-

dem es da ein paar Beschwerden gab,

hat er sich das inzwischen abgewöhnt“,

lacht Kunz, für die Fairness beim Sport an

erster Stelle steht. Die Kinder mögen ihren

Trainer trotzdem – und für sie ist es völlig

nebensächlich, ob er dabei im Rollstuhl

sitzt oder aus Syrien stammt.

Integration als Selbstverständlichkeit

Beim bunten Treiben in der Stadenhalle

fällt ohnehin nicht auf, dass rund die

Hälfte der Kinder einen Migrationshin-

tergrund hat. Die Gruppe ist vielfältig, die

Herkunft spielt keine Rolle. „Integration

geht nur über Gespräche“, erläutert Kunz

ihren Ansatz. Und gerade dabei ist Nas-

sar für viele Familien ein entscheidender

Schlüssel. Er spricht Arabisch, kann so

sprachliche und kulturelle Hürden über-

winden. „Vielleicht nehmen sich die Leute

meine Integrationsgeschichte auch als

Vorbild“, sagt er bescheiden. Hilfreich

ist, dass Tischtennis ein sehr integrati-

ver Sport ist, wie Kunz erklärt: „Hier kann

jeder gegen jeden spielen, unabhängig

von Alter, Geschlecht, Herkunft oder

Behinderung.“ Auch beruflich lebt Nas-

ser dieses Prinzip: Er arbeitet inzwischen

halbtags als Integrationshelfer.

Dass Nasser beim Training und im All-

tag weiterhin auf Unterstützung ange-

wiesen ist, ist für die Tischtennisfamilie

in Tiefenstein kein Hindernis. „Es muss

immer jemand da sein zum Helfen, allein

schon zum Aufbauen der Platten und

des Equipments“, weiß die 62-jährige

Kinderkrankenschwester. Auch außer-

halb der Sporthalle unterstützen ihn die

Vereinsmitglieder, wo sie nur können:

Simone Kunz und ihr Mann halfen beim

Einrichten seiner Wohnung, ein Fernseh-

techniker aus der Leichtathletik-Abteilung

schloss die Satellitenanlage an und der

Fahrlehrer der Tischtennisfamilie gab ihm

Privatstunden für die Führerschein-Prü-

fung – Nassars syrischer Führerschein

wurde in Deutschland nicht anerkannt.

„Für ihn geht es nie alleine. Aber der ganze

Verein hilft gerne mit“, beschreibt Kunz

die Gemeinschaft.

So ist der TuS Tiefenstein für Nassar

längst zu einer zweiten Familie geworden

und es verwundert nicht, dass er voll ins

Vereinsleben integriert ist. Er packt selbst

mit an, wo immer es nötig ist. „Ob auf dem

Platz oder hinter der Theke – auf Ibrahim

ist immer Verlass“, freut sich Simone Kunz.

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