IN DER MARATHONWELT
ZUHAUSE – IN DER
VULKANEIFEL DAHEIM
Samuel Fitwi – Geflüchteter, Sportler, Mensch
Ein Tag Anfang August 2025.
Es ist kurz vor halb drei am
Nachmittag. Der Videocall
läuft bereits seit einigen Minu-
ten. Dann ploppt endlich die
ersehnte Benachrichtigung
auf dem Rechner auf. „Samuel
Fitwi befindet sich im Warte-
raum“, teilt das Programm
mit. Er ist da. Endlich. Sein
Blick ist noch ganz leicht ver-
schlafen. Er trägt eine lockere
Trainingsjacke und Kopfhörer.
Etwas verlegen entschuldigt
sich Samuel, nachdem er die
Teilnehmer freundlich begrüßt
hat. Denn ursprünglich war die
Videokonferenz bereits für 11
Uhr am Vormittag angesetzt.
Doch diesen Termin hat Samuel
verschlafen. Es sei ihm verzie-
hen. Niemand ist ihm, dem
sonst so zuverlässigen 29-Jäh-
rigen, böse. Er befindet sich zu
diesem Zeitpunkt schließlich in Äthiopien,
genauer gesagt in den luftigen Höhen der
Hauptstadt Addis Abeba. Dort bereitet
sich der Marathonläufer akribisch auf ein
ebenso ehrgeiziges wie kräftezehrendes
Ziel vor, was vor ihm noch kein Deutscher
in den letzten Jahrzehnten erreicht hat.
An der Spitze kann die Luft schnell dünn
werden. Das weiß auch Samuel Fitwi nur
zu gut. Denn er ist an der Spitze angekom-
men. An der Spitze der deutschen Mara-
thonläufer. Seit dem 1. Dezember 2024 ist
er deutscher Rekordhalter. Im spanischen
Valencia steht nach den 42,195 Kilometern
eine Zeit von 2:04:56 Stunden auf der Uhr.
Unglaublich. Unfassbar. Schließlich ist
es erst der fünfte Marathon, den er zu
diesem Zeitpunkt überhaupt gelaufen ist.
Seine Rekordzeit ist ein Beleg für seinen
unbändigen Willen, sich immer weiter zu
verbessern. Immer schneller zu werden.
beschreibt Samuel sich selbst. Dafür trai-
niert er hart. Sehr hart. Seit Juni schuftet
und schwitzt er im Osten Afrikas. Auf teil-
weise über 3.000 Meter über dem Mee-
resspiegel läuft er mit seiner Trainings-
gruppe Kilometer um Kilometer durch
die Wälder Äthiopiens. Jeden Tag. Dabei
hat Samu, wie er von seinen Freunden
genannt wird, sein Ziel immer im Blick: den
TCS Marathon am 31. August in Sydney.
Dort, in der australischen Millionenme-
tropole, will er am liebsten Geschichte
schreiben. Er will bei einem der weltweit
sieben Major-Marathons unter die Top
5 kommen.
Es ist ein durchaus ehrgeiziges Unter-
fangen. Angesichts der Konkurrenz um
Marathon-Legende Eliud Kipchoge viel-
leicht sogar zu ehrgeizig. Doch genau
diese Charaktereigenschaft ist es, die
Samuel schon sein ganzes Leben lang
auszeichnet. Er stellt sich dem scheinbar
Unerreichbaren. Denn, dass er heute zur
Elite der Marathonwelt zählt, war vor eini-
gen Jahren noch nicht absehbar. Es war
sogar komplett undenkbar. 2013, im Alter
von gerade einmal 17 Jahren, beschließt
er aus seiner Heimat Eritrea zu flüchten.
Krieg und Gewalt zwingen ihn, seine Fami-
lie und sein bisheriges Leben zurückzu-
lassen. Statt an eine Karriere als Welt-
klasse-Marathonläufer denkt Samuel zu
diesem Zeitpunkt ans blanke Überleben.
„Ich wollte
immer mehr,
immer mehr,
immer mehr“,
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SPORT RHEINLAND-PFALZ | 05.2025
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